Die Patchwork – Ausgangssituation
Ich bin aktuell 35 Jahre jung, seit 2015 Vater eines wunderbaren Sohnes und seit 2018 im guten geschieden. Im selben Jahr habe ich meine jetzige bessere Hälfte kennengelernt und bin in den Genuss einer Patchworkfamilie gekommen.
Seit Tag eins wachse ich täglich in dieser Rolle. Mal mehr und auch mal weniger.
Ehrlicherweise gab es Situationen, da hätte ich gerne die Zeit zurückgedreht, um in meiner nicht perfekten Ehe mit Kind zu bleiben. Warum? Ganz einfach: Man hätte sein Kind immer bei sich und könnte sich gewisse Probleme sparen.
Welche Situationen? Meistens sind es die Montage, an denen ich das „Papawochenende“ mit einem mulmigen Gefühl hinter mir lasse.
Zu zweit im Auto, am Weg in den Kindergarten oder zur Mutter und mittlerweile in die Schule, verfalle ich innerlich schon in eine Trauer. Ich merke, wie diese auch auf den kleinen Mann übergeht und auch er Sätze sagt wie „Ich mag nicht weg von dir“ oder „Am liebsten wäre ich immer bei dir“. Auch wenn mir bewusst ist, dass das so gut wie alle Kinder sagen.
Wir alle wissen, dass er bei Mama genauso glücklich ist und natürlich ist es keine realistische Darstellung, aber wir sehen auch den Schmerz der Trennung (auch, wenn nur bis zum übernächsten Wochenende).
Im Kindergarten abgegeben
Man(n) reißt sich einmal zusammen und verabschiedet den Kleinen noch mit einem Lächeln, einem Bussi und einer festen Umarmung an der Kindergartentüre.
Ich gehe die wenigen Schritte zum Auto und drehe mich gefühlte 1000 Mal um. Er steht noch immer am Fenster, winkt mir und schickt Küsse. Ich winke noch einmal und schicke einen Kuss, seine Küsse drücke ich an mein Herz. Ich fahre los und mich überkommen eine Welle an Gefühlen. Ja, ich weine auch ein wenig. Ich darf das, ich gestehe mir ein, wie weh mir die Trennung meines Sohnes auch nach Jahren tut.
Die 20 Minuten Autofahrt nach Hause nutze ich, um meine Gedanken und Gefühle zu sortieren und das ist gut so. Je emotionaler ich heimkomme, desto „unfairer“ bin ich manchmal zu meinen Patchwork-Kids, die ich sehr schätze, lieb habe und die mir extrem wichtig sind. Sie haben mich in ihre Familie aufgenommen. Einem Fremden den Platz und Raum und eine neue Vaterrolle gegeben. Dafür werde ich ihnen wohl nie genug Danken können, dass sie mir zumindest einen Teil Familie zurückgeben.
Seitdem er nun in die erste Schulklasse geht, ist die Trennung etwas einfacher, wir nehmen es beide vor der Schule natürlich weniger emotional. Immerhin sehen uns dort ja seine SchulkollegInnen.
Unfair, nicht erwachsen, aber menschlich
Jeden Tag, wenn ich aufstehe, mit den Kindern und meiner Partnerin frühstücke und dann auf den leeren Platz meines Sohnes sehe, durchlebe ich viele Gefühle. Wut, Trauer, Eifersucht, Zweifel, Unmut und noch vieles mehr.
Ich bin sogar manchmal eifersüchtig, dass diese Kinder hier mich als Bezugsperson, „Papa“, Erzieher, Freund, Spiel- & Weggefährten haben, während mein Sohn, im Vergleich dazu, so wenig von mir hat.
Eifersucht auf den Partner meiner Ex-Frau, der meinen Sohn tagtäglich aufwachsen sieht, jede Schramme, jeden blauen Fleck und jede noch so kleine Veränderung in seinem Leben mitbekommt und ich auf Informationen, Bilder, Videos meiner Ex-Frau angewiesen bin oder auf die Erzählungen meines Sohnes warten muss.
Hier ist anzumerken dass er mir verständlicherweise am Freitag natürlich nicht mehr sagen kann, was er die letzten zwei Wochen gemacht hat.
Trauer ist wohl klar, oder?
Zweifel, wie schon oben beschrieben, weil oft der Blick zurück einfacher ist als nach vorne.
Wenn ich mich selbst lahmlege
Hä? Was mein ich denn jetzt damit?
Klar, ich schreibe es, wie ich es fühle und was mir gerade in diesem Moment durch den Kopf schwirrt.
Aber oft ertappe ich mich selbst dabei, dass ich mich aus dem Patchwork-Alltag zurückziehe, flüchte und ablenke. Alles nur, damit ich meinem Sohn gegenüber kein schlechtes Gewissen habe, wenn ich mit den Patchwork-Kids alle diese Dinge mache, die ihm eigentlich mit mir zustehen.
Wo ich mit den Zwillingen Lego bauen könnte -> arbeite ich lieber, wo ich meine Beziehung zur „Tochter“ als starker Mann/Vater stärken könnte, indem ich mit ihr spreche oder Sport mache -> ziehe ich mich zurück und gebe ihr manchmal das Gefühl, dass ich nicht angesprochen werden möchte.
Ich lähme meinen Beziehungsaufbau zu den Kindern aus purer Angst, es könnte zu stark werden und meinem Sohn gegenüber ungerecht sein. Denn ein zurück gibt es dann nicht mehr. Das würden diese Kinder auch nicht noch einmal überleben und ich würde es mir menschlich nie verzeihen.
Neue Wege im Patchwork?
Vor diesem Wendepunkt stand ich nun im Jahr 2021.
In einer Corona-Pandemiezeit mit Homeschooling, Lockdowns, Kindergeburtstagen (ohne großen Feiern) und einer persönlichen emotionalen Krise.
Es heißt: „Erkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung“. Also fehlt nur noch der zweite Schritt, die Umsetzung.
So hab ich mir vorgenommen meinen emotionalen Bullshit etwas weniger Bedeutung zu geben und mehr positive Gefühle hervorzurufen.
Leider war das Jahr 2021 aber dennoch nicht der Weg in eine neue Zukunft. Ich habe im Sommer mit Urlauben und Ausflügen die Beziehung gestärkt, aber kaum war der nächste Lockdown da, der Alltag oder eine Krise, habe ich den Rückzug in mein Schneckenhaus begonnen.
Ob alles in 2022 besser klappt, wie ich es hier schreibe und mir vorstelle? Ich werde bestimmt bald wieder davon berichten.
Also an alle Väter, Mütter, Stiefeltern, Patchwork-Eltern usw.: „Haltet durch, seid selbstbewusst und hört in euch hinein. Ändert etwas bevor die Zeit vorbei ist.!“
Auch interessantes Interview im „derStandard“: Jede zweite Patchwork-Familie zerbricht
Bist du schon aktiver Leser der Papa Kolumne? Hier ist die letzte Folge: Ein besserer Stiefvater